gun-523052_kerttuWas können wir aus der Serie „Die Sopranos“ über das Leben lernen?

Ich habe mir sämtliche Episoden vor ein paar Jahren angeschaut und tue dies nun nochmals. Dabei stoße ich auf wertvolle Lektionen für das Leben.

Lektion 1: „Lösungen“ mit Gewalt sind keine, sondern verschlimmern das Problem

Die erste und vorderste Lektion, die mir aus bisher jeder Episode entgegen kommt ist die, dass fast alle Problemlösungen, die auf Gewalt und Zwang basieren, das Problem verschlimmern.

Zum Beispiel:

Sil und Pussy sollen den geklauten PKW von Anthonys Sachkundelehrer wieder beschaffen. Diesen haben die Diebe aber bereits zerlegt. Also zwingen sie die Autodiebe, ein weiteres Auto zu klauen, es neu zu lackieren und dem Lehrer zu bringen. Die Gesamtsituation ist also nicht verbessert.

Ein weibliches Mitglied der Cosa Nostra zahlt nicht genug Provision an die nächsthöhere Schicht der Pyramide. Sie hört auch nicht auf die erste, sehr massive Warnung. So erhält sie Besuch und wird samt Liebhaber erschossen.

Leider hatte der Sohn vom Boss eine romantische Verbindung zu ihr, und so muss wiederum der Schütze dran glauben und wird von Tony Blundetto, einem Cousin von Tony Soprano, erschossen. Tony B. wird dabei beobachtet, was wiederum eine Kettenreaktion von weiteren Problemen auslöst.

Andererseits werden manche Probleme in der Serie ohne Gewalt gelöst und das führt zu einer Verbesserung der Situation.

Ex-Captain Feech La Manna kommt auf Bewährung aus dem Gefängnis und macht sich mit seiner großspurigen Art unbeliebt. Außerdem hat er in vielen Jahren Eingesperrtsein nicht mitbekommen, wie die moderne „Sache“ läuft, und verhält sich tölpelhaft.

Als sein Verhalten immer mehr Schwierigkeiten bereitet, steht Tony Soprano vor der Frage, wie er den Kollegen los wird. Er beschließt, ihn nicht zu erschießen, sondern Feeches Gier auszunutzen, um ihn mittels einer Kriegslist zurück ins Gefängnis zu bringen. Die List funktioniert, niemand wird erschossen, der Frieden ist wieder hergestellt.

Als Tony Soprano mit Adriana, der Verlobten seines Neffen Chris Moltisanti, zum Dinner fährt, gibt es einen Unfall. Es verbreiten sich Gerüchte, Adriana hätte während der Fahrt an Tonys Cannoli genascht. Chris dreht völlig am Rand und pumpt Tonys leeres Auto mit Kugeln voll. Daraufhin schleppen sie Chris an den Stadtrand. Tony will ihn mit vorgehaltener Pistole zwingen, zu glauben, dass nichts Sexuelles vorgefallen ist.

Tony folgt damit nur konsequent der Tradition einer anderen Organisation, der er angehört, der katholischen Kirche. Mitglieder werden mit Gewalt und Drohungen gezwungen, etwas zu glauben, wofür es keine Beweise gibt, und das in einem Alter, wo das kritische Denken noch nicht entwickelt ist. Ohne diese Vorgehensweise hätte der Laden seit 2.000 Jahren keine Kunden mehr.

Chris kann aber kritisch denken, und natürlich funktioniert diese Methode bei ihm nicht. Er ist kurz davor, sich eine Bleivergiftung einzufangen.

Tonys Cousin Tony Blundetto schlägt nun vor, wissenschaftlich vorzugehen. Die Truppe fährt zum Krankenhaus und befragt den Arzt, der Tony und Adriana aufgenommen hatte. Mit allerlei Fachsimpeleien arbeiten Tony B. und der Arzt heraus, dass die Verletzungen der beiden Unfallopfer nicht konsistent wären mit Oralsex während der Fahrt.

Auch diese Situation ist nun ohne exzessive Gewalt geregelt, das Vertrauen zwischen Chris und Tony S. ist wieder hergestellt.

Lektion 2: Wir verstehen Situationen unzureichend und klären sie auch nicht genügend

Wenn wir auf Verhalten von anderen Menschen stoßen und es nicht verstehen, neigen wir dazu, Urteile zu fällen, anstatt zu hinterfragen, was vor sich geht.

Tonys Frau Carmela beginnt eine Affäre mit dem Schulrektor ihres Sohnes Anthony.

Die Affäre beginnt sehr leidenschaftlich und Carmela ist voll dabei. Sie spricht später mit ihrem Pastor, Father Intintola, der ihr Schuldgefühle bereitet. Deshalb zieht sie sich aus der Affäre zunächst zurück.

Der Schulrektor nutzt in der Zwischenzeit seinen Einfluss, um die Schulnoten von Carmelas Sohn Anthony geringfügig zu verbessern. Gleichzeitig hat Carmela ein weiteres Gespräch mit Father Intintola und stellt fest, was denkende Menschen schon lange wissen: Das Gesülze der Kirche ist Bullshit.

Mit neuem Feuer wirft sie sich in die Beziehung zum Rektor.

Der Rektor hat mitbekommen: Carmela zieht sich zurück. Ich verbessere die Noten ihres Sohnes, und sie wirft sich auf mich. Seine Interpretation: Carmela hat ihn nur benutzt. Er hinterfragt nicht, was sonst noch alles passiert ist.

Hätten die beiden sich wirklich ausgetauscht, hätten sie aneinander anerkennen können, durch welche Prozesse sie beide gegangen sind, und hätten sich gegenseitig bereichert. Da sie aber bei ihren Urteilen stehenbleiben, zerbricht die Beziehung, und Carmela kehrt schließlich zu Tony zurück.

Lektion 3: Das, worüber wir nicht reden dürfen, erzeugt die schlimmsten Krisen.

In einer Episode gegen Anfang der Serie kommentiert Tony eine vertrackte Situation mit der Bemerkung: „Cunnilingus und Psychotherapie haben uns in diese Lage gebracht.“

Aus irgendeinem Grund dürfen Vollmitglieder der „Sache“ Frauen keinen Oralsex geben. (Für mich war das der Anlass, keinen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen.) Als sich herumspricht, dass Tonys Onkel Junior seine Geliebte seit Jahren oral verwöhnt, ist Juniors Ruf als harter Boss in Gefahr. Auf sehr bittere Art und Weise trennt er sich von seiner Geliebten, mit der er sich sonst wunderbar versteht.

Natürlich darf Tony Soprano nicht zugeben, dass er regelmäßig eine Psychotherapeutin, Dr. Jennifer Melfi, aufsucht. Das wäre auch ein Zeichen von Schwäche.

Aus meiner persönlichen Sicht ist Dr. Melfi die einzige wirklich sympathische Figur in allen 6 Staffeln, und die einzige Person, der ich wirkliche charakterliche Stärke attestiere. Sie erliegt nicht der Versuchung des leichten, schnellen Geldes. Als sie selbst vergewaltigt wird, wendet sie sich nicht an Tony wegen allzu bequemer, einfacher Rache.

Die ganze Heimlichtuerei um die Tonys Therapie erzeugt eine Reihe von Problemen. Unter anderem wird ein Bekannter von Dr. Melfi fürs Leben traumatisiert, und Dr. Melfi selbst muss für ein paar Wochen die Stadt verlassen.

Und warum? Weil ein „Made Guy“ keine Schwäche zeigen darf.

Lektion 4: Akzeptierte Schwäche ist Stärke

Nach mehreren Monaten Eiertanz um das Therapie-Thema eröffnet Tony schließlich seinen Captains, dass er Psychotherapie in Anspruch nimmt.

Nun rückt auch Zyniker Paulie Gaultieri damit heraus, dass er selbst ein paar Stunden bei einer Therapeutin genommen hat.

Es gibt einiges an Gemurmel und Gegrummel im Hintergrund, aber schließlich wird akzeptiert, dass im 21. Jahrhundert Therapie auch in der Cosa Nostra dazu gehören kann.

Und dazu gibt es noch eine Reihe weiterer kleiner Lektionen, die ich aus der Serie gewinne.

Bild: kerttu von pixabay